Wenn junge Brüder ihre Oma pflegen
Tim pflegt zusammen mit seinem Bruder seine an Demenz erkrankte Oma. „Ungewöhnlich, dass die 29- und 31-jährigen Enkel die 86-jährige Oma pflegen“, denke ich mir, als er davon erzählt. Ich bin Vanessa Radatz, 26 Jahre alt und seit April 2019 Studentin bei compass private pflegeberatung. Durch meinen Job wird mir auch privat bewusst, wie viele Menschen direkt oder indirekt alltäglich mit dem Thema Pflege konfrontiert sind – auch junge Menschen. Mein jetziger Mitbewohner Tim entgegnete bei der WG-Besichtigung auf die Beschreibung meines Nebenjobs: „Da kannst du mir ja bestimmt mal weiterhelfen.“
Wie es dazu kam, dass er seine Oma pflegt, wie er mit den Herausforderungen umgeht, die die Pflege mit sich bringen und warum er es trotzdem gerne tut, erzählt mir Tim im folgenden Gespräch. Als wir uns am Abend in der Küche treffen, kommt er gerade vom Besuch bei seiner Oma zurück.
Hi, Tim. Wie geht es deiner Oma?
Sie war fast zwei Wochen im Krankenhaus. Die Hitze hat ihr überhaupt nicht gut getan. Das war das erste Mal, dass wir uns richtig Sorgen gemacht haben. Gleichzeitig hat sie nun seit kurzer Zeit eine neue Pflegerin, mit der es bisher echt super läuft. Denn meine Oma ist je nach Tagesform leicht bis schwer dement. Sie ist ein ganz netter Mensch, aber man sollte wissen, wie man mit ihr umgehen muss. Das hat mit der vorherigen Pflegerin nicht so gut geklappt. Aber jetzt ist sie total zufrieden und es geht ihr wieder gut.
Wie oft bist du bei ihr?
Ich fahre zwei bis drei Mal in der Woche von Köln nach Krefeld, um nach ihr zu sehen und um zu schauen, ob alles läuft.
Außerdem muss regelmäßig nach der Post geschaut werden, Überweisungen müssen getätigt oder Reparaturen vorgenommen werden, denn das kann sie alles nicht mehr alleine. Das ist eigentlich der normale Alltagswahnsinn, irgendwas ist immer kaputt. Es ist ein richtiger Haushalt, den sie jedoch nicht mehr alleine führen kann. Sie kann nicht einfach eine neue Glühbirne kaufen und sie austauschen, dafür sind wir zuständig.
Seit wann ist deine Oma pflegebedürftig?
Bevor unser Opa vor 1 ½ Jahren verstorben ist, war noch alles ganz gut. Uns war klar, dass sie dement ist. Aber uns war nicht klar, dass sie halb blind ist. Sie hat uns zwar immer die Speisekarte vorlesen lassen, aber wir dachten: „Ist halt die Oma, der liest man netterweise die Karte vor.“ Dann haben wir jedoch festgestellt, dass sich Opa um alles gekümmert hatte, wofür sie ihr Augenlicht brauchte – die Tür aufschließen, Auto fahren etc. Wenn sie die Tür nun selbst aufschließen wollte, versuchte sie mit den Fingern das Schlüsselloch zu ertasten.
Dass sie sich nicht alleine versorgen kann, war uns vor dem Tod unseres Opas gar nicht klar.
Der Augenarzt hat während der Besprechung seine Kollegen geholt und meinte, das hätte er noch nie gesehen. Ihre Sicht hat sich in den Jahren, in denen sie nicht beim Augenarzt war, sehr verschlechtert. Wir haben dann mit ihr entschieden, dass sie ihre Augen lasern lässt. Damit hat sich ihr Leben um 180° gedreht. Sie ist motivierter und kann wieder lesen. Doch die Zeit nach der Operation war schwierig. Man muss einer dementen Frau erst einmal beibringen, dass sie ihren Verband nicht abreißen darf, denn nach zwanzig Minuten hat sie es wieder vergessen.
Nachdem der Opa gestorben ist, hatte sie auch gar keine Lust mehr aufs Leben und hat sehr viel geweint. Das war für sie und für uns eine sehr harte Zeit. Wenn sie dann noch so unglaublich negative Gedanken hat, dann ist das für die Angehörigen kein Spaß.
Wie kommt es, dass ihr die Pflege eurer Oma übernehmt?
Meine Familie hat schon ein paar Schicksalsschläge verkraften müssen. Meine Mutter ist schwerbehindert. 2010 ist das passiert. Mein Vater ist Arzt und meine Mutter hat in der Praxis ausgeholfen, als sie umgekippt ist. Das war das letzte Mal, dass ich mit meiner Mutter geredet habe - im Krankenhaus. Danach war sie eine lange Zeit im Koma. Als sie wieder aufgewacht ist, war sie nicht mehr wie früher. Sie musste zum Beispiel das Sprechen neu lernen.
Seitdem ist sie schwerbehindert und mein Vater kümmert sich um sie. Dementsprechend sind wir die Einzigen in der Familie, die unsere Oma pflegen können. Mein Bruder und ich machen das aber auch gerne, weil sich mein Opa und meine Oma auch seit unserer Kindheit um uns gekümmert haben. Da war es für uns klar, dass wir das auch zurückgeben wollen.
Das war also leider nicht das erste Mal, dass ihr mit dem Thema Pflege konfrontiert worden seid. Habt ihr euch dadurch etwas vorbereitet gefühlt?
Mit dem Tod meines Opas hat keiner gerechnet, deswegen waren wir null vorbereitet.Ich wusste durch meine Mutter ein bisschen, wie die Pflege abläuft, weil sie ja schon jahrelang Pflegeprozesse durchlaufen hat. Dadurch wussten wir grob, was unser Vater macht, um sie zu pflegen. Aber wir mussten uns komplett durch alles durcharbeiten, durch Anträge, Pflegegelder, Vollmachten usw. Wir hatten fünf Millionen Fragen. Die Antworten darauf mussten wir uns zusammen erarbeiten. Mein Papa konnte uns bei kleinen Fragen helfen, aber wir wollten ihn nicht mit hineinziehen, sondern es alleine schaffen. Das hat bisher auch ganz gut geklappt.
Wie organisiert ihr euch und wie hat sich dein Alltag dadurch verändert?
Wir haben eine WhatsApp-Gruppe mit den Personen, die in die Pflege involviert sind. Wir bekommen immer Updates, wie es Oma geht und wie es läuft und sprechen ab was gemacht werden muss. Dann bespreche ich mit meinem Bruder, wer an welchem Tag hinfährt. Wir versuchen uns die Zeit so einzuteilen, dass jeder möglichst gleich viel Zeit bei Oma verbringt, weil wir auch selbst wissen, dass wir beide natürlich noch ein Leben außerhalb der Pflege haben. Wir sind beide berufstätig, engagieren uns sozial, machen Sport und haben daneben noch Freunde und tausend andere Sachen, um die man sich kümmern muss.
Man denkt vielleicht, die Oma zu pflegen, das geht so nebenbei, aber es ist eine zusätzliche Sache, die wir in unserem Leben haben.
Es ist gar nicht so einfach, sich Zeit für sich selbst freizuschaufeln. Doch es ist wichtig und irgendwie funktioniert das bisher auch ganz gut. Man muss jeden Tag mit den Betreuungskräften kommunizieren und klären, was ansteht. Aber die schwierigste Zeit war eigentlich nach Opas Tod. Da waren wir ein halbes Jahr lang jeden einzelnen Tag bei ihr. Wir mussten sie jeden Tag beruhigen, weil sie angerufen hat und so traurig war und sich einsam fühlte. Das geht an die Substanz, wenn man selbst nicht mehr zum Training kann, seine Freunde nicht sieht, Überstunden auf der Arbeit schiebt und eine nahestehende Person über Wasser halten muss. Das war wirklich heftig.
Könnt ihr mit Freunden über eure Situation reden?
Ich kläre das eigentlich zu 99% mit meinem Bruder. Die Beziehung zu meinem Bruder hat sich seitdem sehr verbessert. Sie ist enger geworden, weil wir uns wirklich jeden Tag absprechen müssen und dann auch über unseren Alltag reden. Zwischendurch erzähle ich es vielleicht mal Freunden, aber eigentlich will ich auch nicht großartig darüber sprechen. Ich bin allgemein eher ein Mensch, der Sachen mit sich selbst ausmacht und andere nicht damit belasten will. Ich glaube bei meinem Bruder ist das ähnlich. Mit Freunden rede ich dann lieber über erfreulichere Themen, wie Freizeit und Sport.
Macht es im Pflegekontext für euch einen Unterschied, dass ihr noch jung seid? Bemerkt ihr das?
Klar ist das ungewöhnlich, ich habe bisher auch nur von älteren Menschen gehört, die ihre Eltern pflegen. Aber mir ist es wichtig, meiner Oma das zurückzugeben, was sie uns in der Kindheit und Jugend mitgegeben hat.
Ich fühle mich genauso verantwortlich, als wenn ich 20 Jahre älter wäre.
Deswegen war es für uns klar, dass wir sie pflegen. Sie ist auf die Hilfe angewiesen und ohne uns wäre es schwierig für sie.
Ist ein Altenheim eine Option für deine Oma?
Das wird über kurz oder lang mit Sicherheit der Fall sein, ist jedoch auch ein ewiges und schwieriges Thema. Eigentlich möchte sie das nicht, jedoch meinte sie letztens, dass sie es sich überlegen würde, ins Heim zu gehen. Darüber waren wir sehr erstaunt.
Mein Bruder zieht nämlich wegen seines Jobs wieder zurück nach Hamburg. Das heißt, dass ich der Einzige bin, der sich unter der Woche wirklich um sie kümmern kann. Das wird heftig. Aber ich mache meinem Bruder keinen Vorwurf. Schließlich müssen wir beide unser eigenes Leben weiterleben. Ich denke, das kann auch jeder verstehen. Wenn ich ein geeignetes Jobangebot in einer anderen Stadt bekommen würde, würde ich wahrscheinlich auch dort hinziehen. Das wäre dann spätestens der Zeitpunkt, an dem Oma ins Heim müsste. Selbstverständlich würde uns das sehr Leid tun, aber anders würde es nicht gehen.
Gibt es Punkte, an denen ihr euch Unterstützung wünscht?
Wir hätten vielleicht eine Beratung, wie compass sie anbietet, in Anspruch nehmen sollen, aber wir haben uns da überall selbst durchgegoogelt. Das war auf jeden Fall anstrengend und zeitraubend und den ganzen Papierkram finden wir beide nicht toll. Damit haben wir so manche Nacht zugebracht, auch, um Omas Finanzen zu regeln. Man muss ja erst einmal in einem fremden Haushalt in 18 verschiedenen Schränken alle Dokumente finden und ordnen. Das war sehr anstrengend, bis wir uns einen Überblick verschafft haben und alles ins Rollen kam.
Ich würde anderen Leuten raten, sich beraten zu lassen, da kann man sich auf jeden Fall Zeit und Nerven sparen.
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