Vom Kind mit Pflegeverantwortung zur wissenschaftlichen Arbeit
Lena Lorenz ist sieben Jahre alt als ihre Oma dement wird. In den nächsten 15 Jahren ist sie eng in die Pflege der Oma eingebunden. Heute befasst sie sich im Rahmen ihres Studienabschlusses wissenschaftlich mit jungen pflegenden Angehörigen und erforscht, welcher spezielle Unterstützungsbedarf besteht und wie die Situation von jungen Pflegenden verbessert werden kann. compass sprach mit ihr über ihre Erfahrungen als junge Pflegende.
„Als meine Oma an Demenz erkrankte, sind wir einmal pro Woche in eine Angehörigengruppe vor Ort gegangen. Dort habe ich aber nie Gleichaltrige getroffen,“ erinnert sich Lena Lorenz, die bereits in ihrer Kindheit in die Pflege ihrer Oma eingebunden war. Aus dieser Erfahrung hat sich das heutige Thema für ihre Bachelorarbeit ergeben, die sie an der Universität Bochum im Studiengang „Gesundheit und Diversity“ schreibt. Sie erforscht im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit, welcher spezielle Unterstützungsbedarf bei jungen pflegenden Angehörigen bis zu einem Alter von 40 Jahren besteht und wie mögliche Konzepte aussehen können, die Pflegende entlasten.
„Ich hatte nie Kontakt mit Gleichaltrigen, die auch betroffen waren.“
In der Angehörigengruppe habe die Familie zwar regelmäßig andere Betroffene, Ärzte oder Sozialarbeiter*innen getroffen, mit denen sie sich austauschen konnte und wichtige Informationen erhalten habe, erinnert sich die Studentin weiter. Dennoch hat sie die Möglichkeit eines Austauschs mit Gleichaltrigen vermisst: „Durch meine Umfrage im Rahmen meiner Bachelorarbeit, merke ich schon, dass es den Bedarf auch bei anderen gibt und dass es Angehörige in der gleichen Situation gibt.“
Mit vereinten Kräften die Pflegesituation stemmen
Lena Lorenz hat mit ihrer Familie nur zwei Häuserblocks von der Oma entfernt gewohnt. Auch ihre Tante wohnte direkt gegenüber. Dadurch war immer jemand vor Ort, um die demente Dame zu pflegen. „Wir waren sehr flexibel und es waren viele Personen in die Pflege eingebunden. Alleine schafft man das nicht. Das muss man sich irgendwann eingestehen,“ betont sie.
„Ich habe körperliche Pflege übernommen und bürokratische Sachen geregelt, einen Arztbesuch organisiert oder sie in einer Praxis abgeholt. Das war sehr vielfältig.“
Am Anfang der Erkrankung ist ihre Oma zweimal pro Woche in die Tagespflege gegangen. Lena ging natürlich zur Schule. Die Übernahme von Pflegetätigkeiten beschreibt sie als schleichenden Prozess. Zu Beginn hat sie mit ihrer Oma in der gemeinsamen Freizeit jeden Sonntag gepuzzelt, mal einen Einkauf übernommen. Doch je schwieriger die Pflege wurde und je mehr Selbstständigkeit verloren ging, desto mehr Aufgaben hat auch sie trotz ihres jungen Alters neben der Schule, den Treffen mit Freunden und den Hobbies übernommen. „Ich habe körperliche Pflege übernommen und bürokratische Sachen geregelt, einen Arztbesuch organisiert oder sie in einer Praxis abgeholt. Das war sehr vielfältig“, so Lena Lorenz. Irgendwann musste auch das sonntägliche Puzzleritual ersetzt werden. Stattdessen hat sie regelmäßig mit ihrer Oma alte Lieder gesungen und Märchen angehört.
Mit dem Voranschreiten der Krankheit war schließlich aufgrund einer Bettlägerigkeit die Tagespflege nicht mehr möglich. „Wir haben dann einmal, um uns eine Auszeit zu nehmen, einen Pflegedienst eingeschaltet. Das hat leider nicht so wunderbar geklappt, wie wir uns das vorgestellt hätten. Danach haben wir von der Alzheimergesellschaft stundenweise Betreuungsleistungen in Anspruch genommen, um im Alltag Auszeiten zu haben,“ fasst sie zusammen. Lena Lorenz hat ihre Auszeiten für Treffen mit ihren Freunden und Sport genutzt. „Ich muss hinzufügen, dass meine Oma immer sehr lieb war und sie mit ihrer Demenz noch lieber geworden ist. Wäre sie beispielsweise durch die Erkrankung aggressiv geworden, wüsste ich nicht, ob wir ihre Versorgung so zu Hause geschafft hätten,“ reflektiert sie.
Beratung sowie Hilfs- und Unterstützungsangebote nutzen
„Man hat noch einen normalen Alltag - Job oder Schule - und dann den Unterstützungsbedarf der pflegebedürftigen Person. Das ist dann schon eine große Koordinierungs- und Organisationsaufgabe.“
Zu den größten Herausforderungen die junge Menschen erleben, wenn ein Familienmitglied pflegebedürftig wird, gehöre erstmal alles zu organisieren. „Man hat noch einen normalen Alltag - Job oder Schule - und dann den Unterstützungsbedarf der pflegebedürftigen Person. Das ist dann schon eine große Koordinierungs- und Organisationsaufgabe,“ erinnert sich die Studentin. „Aber auch das Emotionale nimmt einen als pflegenden Angehörigen sehr mit. Wenn man sieht, wie ein Mensch sich verändert und die Großmutter einen nicht mehr erkennt, dann ist das schon der schwierigste Aspekt in der Situation.“ Für Jugendliche und Kinder mit Pflegeverantwortung komme natürlich noch hinzu, dass man eigentlich andere Interessen habe und diese manchmal zurückstecken muss, schildert sie ihre Erfahrungen weiter.
Unterstützung fand die Familie nicht nur in der Angehörigengruppe, sondern auch in einem Seniorenbüro vor Ort. Eine Wohnumfeldberatung, bei der ein Berater in die Wohnung der Großmutter kam, hat zusätzlich sehr geholfen. Auch compass bietet Beratungen rund um das Thema Pflege sowie eine spezielle Demenzberatung telefonisch und für privat Versicherte vor Ort an. „Ich kann anderen pflegenden Angehörigen nur mitgeben, dass man sich Hilfe suchen und die verfügbare Hilfe annehmen sollte,“ betont Lena Lorenz.
Pflegesituation hat Berufswunsch geprägt
„Natürlich war es nicht immer schön die Pflegebedürftigkeit meiner Oma zu erleben. Aber ich weiß nicht, ob ich ohne diese Erfahrungen beruflich in den Gesundheitsbereich gekommen wäre,“ resümiert Lena Lorenz. Für sie ist die Erfahrung rückblickend eine positive, weil sie viel gelernt hat und sich ihre berufliche Perspektive entwickelt habe. „Ich finde, dass es mehr spezielle Angebote für junge Pflegende geben müsste, die auch präventives Handeln für die Pflegenden einschließen.“ Ziel ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist es, solche Konzepte zu entwickeln. In der Gruppe für pflegende Angehörige ist Lena Lorenz aus diesem Grund immer noch aktiv, obwohl ihre Oma bereits vor einigen Jahren verstorben ist. Hier teilt sie ihre Erfahrungen und Erlebnisse.
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